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Nur Wasser und Zucker reichen nicht – Was mich der Challenge Roth über Natrium gelehrt hat

  • Autorenbild: Patrick Hunkeler
    Patrick Hunkeler
  • 3. Aug.
  • 4 Min. Lesezeit

Challenge Roth 2025 – ein heisser Tag, ein solider Plan … und eine Lücke

Roth 2025 war warm – in den Tagen davor konnte man schon sagen: heiss. Und obwohl ich über Monate akribisch geplant hatte, zu Hause auch gezielt bei Hitze trainiert und ein stimmiges Race-Nutrition-Konzept umgesetzt habe (120 g Kohlenhydrate pro Stunde, kontrollierte Flüssigkeitszufuhr), lief der Marathon ab Kilometer 15 zunehmend aus dem Ruder.


Was auffiel – und was ich in dieser Form noch nie erlebt hatte:

  • Toilettenpausen alle 20 Minuten

  • ein „vernebelter“ Kopf trotz guter Beine

  • mentale Löcher ab km 15

  • und irgendwann: kompletter Bruch im Rhythmus

 

Rückblickend war es nicht der Zucker, nicht das Training – es war das Salz.

Ich möchte hier nicht auf mentale Hürden oder die kleinen Tricks eingehen, mit denen ich mich dennoch ins Ziel gekämpft habe, sondern auf den physiologisch relevanten Teil: die offensichtlichen Warnzeichen eines elektrolytischen Ungleichgewichts, die ich nicht erkannt habe.


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Die vergessene Variable: Natrium

Im Wettkampf habe ich rund 0,5 g Natrium pro Stunde zugeführt (basierend auf den Nährwerten der Getränke- und Gelhersteller) – ein Wert, der mir im Training bei moderaten Bedingungen ausgereicht hatte. Doch unter Wettkampfbedingungen bei rund 30 °C, mit hoher Schweißrate, war das deutlich zu wenig.

 

Zum Vergleich:

Der durchschnittliche Natriumverlust im Schweiß liegt bei 700–1200 mg/L, teils auch deutlich darüber bei salzigen Schwitztypen¹. Wer 1–1,5 L pro Stunde schwitzt, verliert also schnell

1–2 g Natrium pro Stunde.

 

Was passiert, wenn Natrium fehlt – trotz genug Trinken & Energie?

 

1. Hyponatriämie – die stille Gefahr

Wenn du viel trinkst (was bei Hitze notwendig ist), aber zu wenig Natrium zuführst, verdünnt sich die Natriumkonzentration im Blutplasma. Das nennt man Hyponatriämie – ein potenziell gefährlicher Zustand, der schon weit vor einem Kollaps messbar Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit hat².

 

Typische Symptome:

  • Übelkeit, Kopfschmerzen

  • vernebelter Kopf, mentale Leere

  • Koordinationsprobleme

  • im Extremfall: Krämpfe oder Bewusstlosigkeit

 

2. Energieversorgung blockiert – trotz 80 - 120 g KH/h

Natrium ist entscheidend für die Glukoseaufnahme im Dünndarm über den Natrium-Glukose-Cotransporter (SGLT1).

Fehlt Natrium, wird auch die hochwertige KH-Zufuhr ineffizient aufgenommen – der Blutzucker sinkt, obwohl du „alles richtig“ machst³.

 

Der Körper hat genug Zucker im System – kann ihn aber nicht verwerten. Wie ein Auto mit vollem Tank, aber verstopfter Leitung.

 

3. Flüssigkeit rein – Flüssigkeit raus

Ein weiteres auffälliges Symptom in Roth war der extreme Harndrang während des Marathons – etwa alle 20 Minuten.

Zunächst interpretierte ich das als positives Zeichen: Ich bin gut hydriert. Doch ab Kilometer 21 war es einfach nur noch störend – und ich konnte den Zusammenhang zwischen dem häufigen Wasserlassen und einem Elektrolytmangel nicht mehr herstellen.



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Physiologisch spricht vieles dafür:

  • Die Natriumkonzentration im Blut war zu niedrig – osmotisches Ungleichgewicht

  • Der Körper versuchte, durch Diurese (Ausscheidung von Wasser) das Gleichgewicht wiederherzustellen

  • Dabei gingen auch weitere Elektrolyte verloren, wodurch sich der Effekt verstärkte⁴

 

4. Muskuläre Instabilität & mentale Einbrüche

Trotz guter Grundlagenausdauer fühlten sich meine Beine zunehmend leer und unkoordiniert an. Ich begann zu gehen – nicht wegen muskulärer Schmerzen, sondern weil mein Kopf schlicht nicht mehr wollte.

Jeder Athlet, den ich im Gehen sah, war plötzlich eine Einladung an mich selbst, es ihm gleichzutun.

 

Das klingt psychologisch – ist aber auch physiologisch begründbar:

  • Das zentrale Nervensystem leidet unter Elektrolytstress und osmotischer Dysbalance

  • Die neuromuskuläre Koordination nimmt ab

  • Die mentale Resilienz sinkt – obwohl eigentlich noch mechanische Leistungsreserven vorhanden wären

 

Rückblickend bin ich froh, dass ich auf meinen Körper gehört habe – so unangenehm es war. Vielleicht hat mich das vor Schlimmerem bewahrt.

 

Fazit aus Roth

Ich hatte meine Energiezufuhr, mein Training, mein Pacing und mein Mindset vorbereitet – aber die elektrolytische Komponente unterschätzt. Vor allem, weil sie bei mir nie ein Problem war.

 

Doch unter diesen spezifischen Wettkampfbedingungen wurde sie zur entscheidenden Schwachstelle. Das fehlende Puzzlestück zur Leistung, für die ich mich ein ganzes Jahr vorbereitet hatte.

 

Was ich künftig anders mache

  1. Natriumzufuhr auf 1–1,2 g/h erhöhen, abhängig von Temperatur & Schweißrate

  2. Verpflegung anpassen: KH-Drinks mit höherem Salzgehalt, gezielte Salztabletten (z. B. 250–300 mg alle 20–30 Min)

  3. Verträglichkeit im Training testen, insbesondere bei Hitze & hoher Trinkmenge

  4. Frühe Warnzeichen ernst nehmen: häufiger Harndrang, mentale Leere, Salzkrusten auf der Haut

  5. Einen Sweat-Test durchführen, um individuelle Schweißrate und Natriumverlust exakt zu kennen

 

Für dich als Athlet*in

Wenn du gut vorbereitet bist, ausreichend trinkst und viel Energie zuführst – und trotzdem bricht der Marathon ein, dann stell dir ehrlich die Frage: Fehlt vielleicht das Salz?

 

Die Kombination aus Hitze, hoher Flüssigkeitszufuhr und zu geringer Natriumaufnahme ist ein häufig übersehener, aber kritischer Faktor auf der Langdistanz.

Nicht nur bei Amateuren.

 

Fußnoten & Quellen

  1. Godek SF, et al. Sweat rate and sodium loss in athletes. Curr Sports Med Rep. 2008;7(4): S236–S241.

  2. Hew-Butler T, et al. Statement of the Third International Exercise-Associated Hyponatremia Consensus Development Conference. Clin J Sport Med. 2015;25(4):303–320.

  3. Ruppin H, et al. Absorption of glucose and sodium in the human small intestine. Gastroenterology. 1978;74(1):56–60.

  4. Noakes TD. Overdrinking and hyponatremia: A review. Phys Sportsmed. 2011;39(1):9–16.

  5. Cheuvront SN, Kenefick RW. Dehydration: physiology, assessment, and performance effects. Compr Physiol. 2014;4(1):257–285.

 
 
 

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